Sherlock Holmes Wiki
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Rezensionen zum Pastiche-Roman Sherlock Holmes in Rio:

Georg Sütterlin, Neue Zürcher Zeitung[]

Sechzig Fälle löste Sherlock Holmes, bevor ihn sein Erfinder, der schottische Arzt Arthur Conan Doyle, 1927 in den Ruhestand versetzte. Wie beliebt der detektivische Junggeselle war, hatte Conan Doyle erfahren, als er 1893 versuchte, sich seinen Helden vom Hals zu schaffen, indem er ihn in den Reichenbachfällen bei Meiringen im Kanton Bern zu Tode stürzen liess. Die Wiederbelebung hatte finanzielle und andere Gründe. Erboste Leser waren auf offener Strasse über den Schriftsteller hergefallen und nannten ihn einen Mörder. Weniger temperamentvolle Fans legten sich ein Trauerband um. Die Remuneration für die Wiederauferstehung machte Conan Doyle zu einem der bestbezahlten Schriftsteller seiner Zeit.

Natürlich überlebte Holmes seinen Erzeuger. Er trat im Theater auf; bestandene Autoren wie Mark Twain, O. Henry, Bret Harte inspirierten sich an ihm. Conan Doyles Sohn benutzte Entwürfe seines Vaters und schrieb in Kollaboration mit dem Krimiautor John Dickinson Carr neue Holmes-Fälle. Im Kino war der Meisterdetektiv schon 1903 zu sehen, unzählige Filme folgten bis hin zu Billy Wilders kurioser Phantasie The Private Life of Sherlock Holmes.

Und nun hat in Brasilien der Humorist, Fernsehstar und Kolumnist Jô Soares (geboren 1938) einen weiteren, natürlich apokryphen Fall von Sherlock Holmes ausgegraben. Holmes und sein Adlatus Doktor Watson, der kein Portugiesisch versteht, werden in den 1880er Jahren einer verschwundenen Stradivari wegen nach Rio de Janeiro gerufen. Doch unter den Palmen, fern vom konzentrationsfördernden Kaminfeuer an der Baker Street 221B, vermag Holmes seine stupenden Geistesgaben nicht vollständig zu entfalten. Er lässt sich weisse Anzüge schneidern und von einer grünäugigen Mulattin bezirzen, die ihn erst noch vom Kokain ab- und aufs Cannabisrauchen bringt. Kurz und gut: Die Stradivari taucht ohne Holmes' Dazutun von selbst wieder auf. Und zu den Lustmorden, die dem Kommissar Mello Pimenta den Schlaf nicht rauben, fällt ihm wenig ein. Als der Übeltäter, Geigendieb und Lustmörder in Personalunion, dessen Identität der Leser, nicht aber Holmes erfährt, dasselbe Schiff nach England besteigt wie das detektivische Duo, ahnt man, was kommt. In London geht der Unhold seinen greulichen Trieben unter einem neuen Namen nach: Jack the Ripper.

Soares hat eine amüsante, augenzwinkernde Hommage an eine grosse literarische Figur geschrieben. Gekonnt verflicht der Autor seine eigenen Fiktionen mit Conan Doyles Helden und unterlegt das Ganze mit authentischer Stadtgeschichte und dem Lokalkolorit von Rio de Janeiros tropischer Belle époque. Entstanden ist ein prickelndes Divertimento, das keine weiteren Ansprüche erhebt.

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